„Der Färber…“ • Virtuose Nestroy-Festspiele in Pisch‘dorf

Es war Sigmut Wratschgos letzte Theaterarbeit – Textbearbeitung und Inszenierung –, gleichsam ihr Vermächtnis, und Patrick Steinwidders Debüt im oststeirischen Laientheater – und was haben die Laiendarsteller des Pischelsdorfer Ensembles Lust.Spiel daraus gemacht? Wahre Nestroy-Festspiele, wie sie Schloss Rothmühle (Sitz der internationalen Nestroy-Gesellschaft) oder Burg Liechtenstein (die ehemaligen Nestroy-Festspiele von Hans Weigel & Elfriede Ott) nicht eindrucksvoller zustande bringen hätten können!
Die inhaltlich weit weniger als ihr Titel bekannte Posse „Der Färber und sein Zwillingsbruder“ stellt eine wesentliche Zäsur im Schaffen Johann Nestroys dar, markiert sie doch, am 15. Jänner 1840 uraufgeführt, den Beginn der klassischen, musikalischen Posse mit den spezfischen Nestroy-Couplets, wie sie auch in Pischelsdorf unter der musikalischen Leitung von Stefan Teubl gelungen zu hören waren. Gleichzeitig markiert sie auch einen ersten Höhepunkt in Nestroys Œuvre, im selben Jahr erscheint auch „Der Talisman“, Nestroys gelungenste Gesellschaftssatire, ein Jahr später „Das Mädl aus der Vorstadt“, sein erstes Volksstück, und im Jahr davor hatte „Die verhängnisvolle Faschingsnacht“, in der Nestroy Stände, Klassen, Stadt und Land mit gebotener Bühnenwucht aufeinanderprallen lässt, das künstliche Licht der Bühne erblickt.
Das höchst professionell agierende Laienensemble Lust.Spiel Pischelsdorf, die wohl erfahrendsten Nestroy-Interpreten landauf landab, haben bereits mit der Auswahl des Stückes Nestroyspezifisches Gespür bewiesen. Da die verloren gegangene Textfassung ihrer Erstaufführung im Jahre 2000 erst kurz vor Abschluss der Proben wieder entdeckt wurde, musste Sigmut Wratschgo die Posse komplett neu bearbeiten. Dabei gelang ihr eine stark gestraffte, quasi entstaubte Neufassung, unter Wahrung der spezifischen Nestroy-Patina. Diese ist ja eine der Grundlagen für die originalgetreue Authentizität der Nestroy-Inszenierungen in Pischelsdorf. Freilich fand dann auch noch ein Couplet aus der 2000er-Fassung Eingang in die aktuelle Inszenierung, schließlich sind Couplets – und ihre laufende Aktualisierung – das, was diese Posse und die ihr nachfolgenden ausmacht.
Mit unaufgeregter Routine erfüllten die Darsteller ihre Figuren einmal mehr mit begeisterndem Leben, das bereits das Premierenpublikum am Neujahrstag von den Stühlen riss und den Zuschauern in insgesamt sechs Aufführungen ein außergewöhnliches Theatererlebnis bot, das man mit Fug und Recht Nestroy-Festspiele nennen darf! Wirklich aufgeregt war nur einer, und das ganz unbegründet: Patrick Steinwidder, der auf Ersuchen Sigmut Wratschgos, deren designierter Nachfolger als Regisseur des Brandluckner Huabn-Mittwochtheaters er ja ist, die Betreuung der abschließenden Probenarbeiten übernommen hatte, war felsenfest überzeugt, nicht genug Probenzeit gehabt zu haben, um das Ensemble ausreichend auf diese theaterhistorisch bedeutende Posse Nestroys vorbereitet zu haben. Ihm sei ein – ausnahmsweise nicht von Nestroy sondern aus dem „Raub der Sabinerinnen“ von Franz und Paul Schönthan stammendes – Zitat in leicht abgewandelter Form ins Stammbuch geschrieben: „Das wird an einer oststeirischen Laienbühne geleistet!“
Mag. Herbert Kampl

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